„Wer die Rennerei mit wissenschaftlicher und handwerklicher Systematik betreibt, läuft
allen anderen Leuten in einem Maße davon, dass die Rennerei als solche gegenstandslos
wird. Er fährt mit seinen Erzeugnissen vorneweg, sein Sieg steht von vornherein fest und
damit ist die Rennerei selbst sinnlos geworden.“
Carl Hertweck, Das Motorrad (22/1954), S. 906f.
Der heutige Leser fühlt sich angesichts solcher Worte unmittelbar an die Rolle von Ferrari und Michael Schumacher in der Formel 1 oder die Dominanz der Audi R8 bei den Gesamtsiegen in Le Mans 2000, 2001 und 2002 erinnert. Carl Hertweck, damaliger Chefredakteur der bekanntesten deutschen Motorrad-Fachzeitschrift Das Motorrad, bezog sich jedoch auf die unglaubliche Siegesserie der NSU Werksrennmaschinen, die im Rennjahr 1954 die 125er, 250er und 350er Klasse beherrschten.
Der Weg zu den einzigartigen Erfolgen von 1953 und 1954 war nicht einfach, da in den ersten Nachkriegsjahren bei NSU an ein werkseitiges Motorsportengagement nicht zu denken war (vgl. Kapitel 3). Nachdem aber die ehemaligen Werksfahrer Wilhelm Herz und Hermann Böhm 1947 und 1948 mehrere nationale Titel auf NSU Vorkriegs-Kompressormaschinen gewonnen hatten, beschloss man in Neckarsulm, in der Saison 1949 wieder mit einer Werksmannschaft anzutreten. Trotz des erwiesenen Könnens und der großen Erfahrung der Fahrer Wilhelm Herz (Klasse bis 350 ccm), Heiner Fleischmann (Klasse bis 500 ccm) und Hermann Böhm/Karl Fuchs (Seitenwagenklasse bis 600 ccm) konnten Meisterschaftstitel erst 1950 wieder nach Neckarsulm geholt werden: Heiner Fleischmann in der 350er Soloklasse und Böhm/Fuchs in der 600er Seitenwagenklasse.
Ab 1951 durften die deutschen Hersteller wieder an internationalen Rennveranstaltungen teilnehmen. Auf das Reglement der Federation Internationale Motocycliste (FIM),
das seit 1945 den Einsatz von aufgeladenen Motoren verbot, hatte sich NSU gut vorbereitet: Neben der NSU Sportfox, die mit 98 ccm Hubraum nur für Nachwuchsfahrer gedacht war, hatte Chefkonstrukteur Albert Roder 1950 eine leistungsstarke 500 ccm Vierzylinder-Rennmaschine entwickelt. Leider erwies sich das neue Triebwerk als wenig standfest und war somit weder im nationalen noch im internationalen Feld konkurrenzfähig. Ganz ohne Erfolge blieb NSU 1951 jedoch nicht. Innerhalb weniger Wochen entwickelte Roder aus einem der Zylinder der 500er Rennmaschine einen neuen 125 ccm Motor, den er – nicht ganz passgenau - in das Fahrgestell einer Serienfox einsetzte. Die so geborene NSU Rennfox konnte bereits in der zweiten Saisonhälfte mit Siegen in Nürnberg und auf dem Grenzlandring aufwarten, die dabei gemessenen Zeiten standen den Leistungen der bewährten Maschinen von DKW, Mondial und MV Agusta in nichts nach. Damit war die Basis für ein erfolgreiches Rennjahr 1952 in der 125 ccm Klasse war geschaffen.
NSU begann die Saison 1952 mit einem Paukenschlag auf der Solitude bei Stuttgart. Der bis dahin unbekannte Werner Haas gewann den ersten, nach dem Krieg in Deutschland ausgetragenen Weltmeisterschaftlauf zur Überraschung aller Experten gegen die gesamte Weltelite mit der überarbeiteten 125er Rennfox. Sein Teamkollege Otto Daiker gewann nach harten Kämpfen die Deutsche Meisterschaft in der Klasse bis 125 ccm, Wilhelm Hofmann, Hubert Luttenberger und Haas belegten 1952 die Plätze 3 bis 5.
Eine weitere Überraschung war die unter Dr. Walter Froede entwickelte 250er Rennmaschine. Die NSU Rennmax verband technische Elemente der Kompressormotoren, der Rennfox und der Serien-Max und wurde 1952 erstmals eingesetzt. Gegen Ende der Saison fuhr Werner Haas sogar den Konkurrenten der 350er Klasse davon.
Daraufhin entschloss sich NSU 1953 endgültig, neben den Wertungsläufen der Deutschen Meisterschaft auch an allen Weltmeisterschaftsläufen teilzunehmen. Der enorme logistische und personelle Aufwand dieser Saison wurde von einem eigens engagierten Filmteam unter dem Titel „Der große Sieg – Mit NSU zur Weltmeisterschaft 1953“ festgehalten. Dank verbesserter Maschinen und hervorragender Fahrer waren sogar Mehrfachsiege der NSU Werksmannschaft keine Seltenheit: In der Klasse bis 125 ccm gelangen Dreifachsiege in Hockenheim, auf der Solitude, der Avus und der Eilenriede; Doppelsiege in der 250er Klasse wurden bei der Ulster TT und auf der Eilenriede eingefahren. Gerade die Kombination des jungen Werner Haas mit NSU Rennfox und Rennmax schien unschlagbar.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. NSU war 1953 in der nationalen und internationalen Wertung in zwei Hubraumklassen angetreten und gewann fünf Titel: Die
Markenweltmeisterschaft der Klasse bis 250 ccm ging an NSU und Werner Haas wurde auf NSU Deutscher Meister und Doppelweltmeister in der 125er und der 250er Klasse.
1954 bildeten neben Werner Haas noch H. P. Müller, Hans Baltisberger und Rupert Hollaus das Werksteam. Zum größten Erfolg in diesem Jahr wurden die Siege von NSU bei der Tourist Trophy (TT) auf der Isle of Man. Nach über 40-jähriger siegloser Teilnahme an diesem schwersten Rennen der Welt siegte NSU mit Hollaus in der 125er Klasse. In der Klasse bis 250 ccm belegten Haas, Hollaus, Armstrong und Müller die Plätze 1 bis 4.
Haas gewann 1954 auch die 250 ccm Weltmeisterschaft, Rupert Hollaus die 125er Weltmeisterschaft. Dazu wurde Haas erneut zweifacher Deutscher Meister in der 125er und in der 250er Klasse. NSU gewann mit der Rennmax 1954 alle gestarteten Rennen in der Klasse bis 250 ccm, mehrfach als Doppel-,
Dreifach- oder Vierfach-Sieger. Die Rundenzeiten der 350er Klasse wurden mehrfach überboten und an die Zeiten der 500er Klasse kam man ziemlich nah heran. Als Haas bereits Mitte der Saison erneut als Weltmeister feststand, entstanden bei NSU zwei Rennmäxe mit auf 288 ccm aufgebohrten Zylindern. Auf einer dieser Maschinen wurde H. P. Müller Deutscher Meister 1954 in der 350er Klasse.
NSU ging 1954 insgesamt 24 Mal an den Start und stellte ebenso oft den Sieger. Wegen des tödlichen Unfalls des designierten Weltmeisters Rupert Hollaus beim Training zum letzten Rennen der Saison in Monza zog sich NSU jedoch zum Ende der Saison 1954 werkseitig aus dem Rennsport zurück.
Im Jahr 1955 gelang H. P. Müller als erstem Privatfahrer der Welt der Gewinn der Weltmeisterschaft in der 250er Klasse auf einer NSU Sportmax, während Hans Baltisberger - nunmehr
ebenfalls Privatfahrer - auf NSU Sportmax 1955 und 1956 die Deutsche Meisterschaft in der Klasse bis 250 ccm gewann. Horst Kassner und Heiner Butz wiederholten diesen Erfolg in den Jahren 1957, 1959, 1960, 1961 und 1963.
Die NSU Sportmax war eine aus der Serienmaschine entwickelte Rennsportmaschine für Privatfahrer, die bereits 1953 neben den Rennmäxen der NSU Werksmannschaft erfolgreich zum Einsatz gekommen war. Nachdem sich NSU 1954 aus dem aktiven Motorsport zurückgezogen hatte, griffen auch die ehemaligen Werksfahrer gerne auf diese Maschine zurück. Die für die NSU Sportmax mehrfach privat nachgebauten Walverkleidungen mit Ohren waren werkseitig geduldet, durften jedoch nicht blau lackiert werden.